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Die Literatur und der Aufsatz

  • Autorenbild: Victoria Pachner
    Victoria Pachner
  • 27. Feb. 2022
  • 3 Min. Lesezeit

„Warum müssen wir diesen Aufsatz schreiben? Wann werden wir jemals in unserem Leben eine Gedichtanalyse brauchen? Wieviele Leute konnten nicht Arzt werden, nur weil sie eine 5 in Deutsch hatten?“


Das sind Fragen, die mir in meinem Schulalltag schon oft begegnet sind, Fragen, die von den Kindern zu Recht gestellt werden. Denn der Großteil der Menschen wird nach seiner Schulzeit nie wieder ein gelbes Reclam-Häftchen in die Hand nehmen und eine lange, fundierte Analyse dazu schreiben. Begründung: Keine Zeit, keine Lust, man versteht die Sprache sowieso nicht, die Thematik ist heute nicht mehr gesellschaftlich relevant, und die Vorurteile von damals haben in der heutigen Welt nichts zu suchen.


Dabei ist es schlicht und ergreifend unfair, die Arbeit mit solchen Texten als „trockene Analyse“ abzustempeln, auf die man eine Note bekommt, und an die man nie mehr denkt. Denn vor allem die 0815 Texte, die man in der Schule liest, wie „Faust“ von Goethe oder „Die Räuber“ von Schiller, sind von monumentaler Bedeutung für uns als Menschen.


Die Literatur ist schlussendlich das, was uns zu Menschen macht. Der Grund, warum wir überhaupt wissen, was in unserer Vergangenheit geschehen ist, und zu was wir daraus geworden sind, ist wegen der Literatur.


Dieses Konzept mag für die letzten Generationen schwer zu begreifen sein, da wir fast ausschließlich visuell aufwachsen. Das, was in einem Skript verschriftlicht wird, kann auf eine Leinwand oder ein Display gezaubert werden, und Dimensionen annehmen, von denen die Dichter von damals nicht hätten träumen können. Deswegen ist es nachvollziehbar, wenn viele Leute jetzt sagen, dass die Literatur eigentlich nur ein Krampf ist, zu dem keiner mehr gezwungen sein muss.


Ehrlich gesagt ist diese Entwicklung als schade zu bewerten, und die allgemeine Auffassung von dem Prozess, was eine sorgfältige Analyse ausmacht, muss geändert werden.

Denn das Gefühl, ein Buch aufzuschlagen, und Wörter, Satzkonstruktionen und Reime zu lesen, die vor Jahrhunderten geschrieben wurden, ist unbeschreiblich. Die Arbeit ist nicht einfach, denn die Schaffer von solchen Werken waren herausragende Dichter, die heute noch gefeiert werden. Aber auch wenn man die Essenz eines jeden Buches oder Gedichtes erst nach dem zweiten oder dritten Lesen begreift, hat man sich gedanklich schon mehr erweitert, als man anfangs denken würde.


Damals haben sich die Menschen der Literatur bedient, um sich kritisch mit der Gesellschaft zu befassen, ihre Gefühle zu äußern und übermenschliche Konzepte auszumalen, vom alten Griechenland bis heute. Die Themen sind immer dieselben, und doch unterscheidet sich die Gestaltung von Autoren, die vielleicht nur eine Generation auseinanderliegen, in vielen Aspekten. Indem man sich die Zeit nimmt, konzentriert diese Werke zu lesen und zu vergleichen, begibt man sich auf eine Reise durch unser Erbe, durch unseren Kern, der uns schlussendlich zu rationalen und gefühlvollen Wesen macht.


Und wenn man es schafft, das herauszulesen, was wirklich in aller Anmut zwischen den Zeilen versteckt ist, und danach schreit, entdeckt zu werden, dann hat man es geschafft, uns als Menschheit besser zu verstehen. Dabei ist es aber essenziell, sich selbst von Anfang bis Ende damit auseinanderzusetzen, und die verschiedenen Gestaltungsmittel allein zu erarbeiten. Das ist nämlich auch der Sinn einer „Interpretation“. Jeder entdeckt auch ein Stück weit sich selbst in diesen alten Texten, die schon vor langer Zeit das aussagen, was wir heute noch zu denken vermögen.


Das ist meiner Ansicht nach der wesentliche Grund, warum es diesen Unterricht gibt, und warum man nie aufhören sollte, Kindern von klein auf diese Werke zu zeigen und zu erklären.


Denn das, diese Wörter, sind wir. Das verbindet uns, und wird es auch ewig tun.




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